Tag 11: Von Bad Salzungen nach Simmershausen
Dieser Tag war so in etwa der Prototyp des schönen Radlausflugs: Sehr oft ruhige, wenig befahrene Straßen in der Natur, viele Entdeckungen.
In diesen Gegenden hier finden sich auffällig viele Erdkeller zur Vorratshaltung – oben auf dem Foto zu sehen sogar mit schicker Fassade. Könnte so auch im Shire aus ‘Herr der Ringe’ stehen.
Unterwegs sozialistische “Helden der Arbeiterklasse”-Verehrung, und vereinzelt (dies ist aber mittlerweile eine Ausnahmeerscheinung geworden) leerstehende Villen, erbaut klar vor der DDR-Episode.
Gleich nach Bad Salzungen erfreue ich mich einige Zeit am hochwertigen Werratal-Radweg, der jedoch im Verlauf des Tages Landstraßen weicht.
Diesmal aber liegt komoot ziemlich richtig: Obwohl eine Straße etwa für Autos gesperrt ist, bietet sie eine optimale Querung eines Höhenzuges, hinter dem viele Kilometer herrliche Abfahrt warten.
Als ich gerade am Straßenrand meine Karten im iPad studiere, hält eine nette Frau und fragt, ob ich Hilfe brauche. Von ihr erfahre ich einiges über die Gegend hier – und, daß sie selbst auch Radtouren macht, vor allem aber zu Fuß Pilgerreisen unternimmt – zuletzt 800 Kilometer binnen 30 Tagen! Wow.
Einige Dörfer später möchte ich wirklich mal eine Erfrischung zu mir nehmen, doch Dorfgaststätten sind hier selten. Einen Einheimischen frage ich, ob er mir was empfehlen kann, das auf meiner Route liegt. Er nennt mir ein russisches Lokal ein, zwei Dörfer weiter. Dieses finde ich dann zwar nicht, aber ich fahre zufällig an einer kleinen Festgemeinschaft in Simmershausen vorbei.
Sie weihen gerade den gemeinsam errichteten Dorfspielplatz ein.
Ob ich Hunger habe, fragen sie. “Jawohl!” ^^
Simmershausen ist ein herausragend malerisches Dörflein mit Fachwerkhäuschen an Fachwerkhäuschen. Als ich beginne, zu dem Thema Fragen zu stellen, werde ich gleich an den Dorfhistoriker verwiesen, der natürlich auch am Tisch sitzt.
Wir unterhalten uns ausgiebig über die Geschichte des Ortes, die lokaltypische Architektur, die Kultur und Sprache: Das hier sind Thüringische Franken! Zuvor hatte ich gar nicht gewusst, daß es sowas überhaupt gibt. Wenn sich die Einheimischen untereinander unterhalten, verwenden sie einen sehr eigenen Dialekt, und obendrein existiert hier augenscheinlich eine in manchen Dingen vom Hochdeutschen abweichende Grammatik.
Ich lerne, daß die Ehefrau unseres Bayerischen König Ludwig des Ersten hier ganz aus der Nähe stammte.
Irgendein Stichwort eröffnet dann das Thema Bierbrauen. Hier gibt es doch tatsächlich noch ein gemeinschaftliches Back-, wie auch ein hunderte von Jahren altes Brauhaus! Dieses wollte sich ein in der Nähe ansässiges Freilichtmuseum unter den Nagel reißen, doch die Dorfälteren legten sich umgehend quer. Stattdessen wurde einer einer aus der jüngeren Generation abkommandiert, extra zu einem Nachbardorf zu fahren, um dort das Bierbrauen neu zu erlernen.
Und so wird im Ort die Bierbrau-Tradition wiederaufgegriffen, die während der DDR-Jahrzehnte offenbar aufgrund eines Verbote vorübergehend vollständig zum Erliegen gekommen war.
Nun brauen die Simmershausener wieder zweimal im Jahr ihr Bier, wie bereits seit Jahrhunderten. Der “Braumeister” selbst zeigt und erklärt mir eingehend die alten Gerätschaften im liebevoll restaurierten Fachwerkhaus! Sehr spannend!
Schließlich fahren wir noch zu den am Ortsrand, versteckt unter Kastanien gelegenen Bierkellern!
Unscheinbare Türen im Hang führen über Sandsteintreppen hinab in wirklich außergewöhnlich kalte Felshöhlen, die im oberen Bereich noch gemauert, weiter unten aber direkt mit Meisseln über die Jahre hinweg in den massiven Fels getrieben worden waren.
Für meine weitere Reise kriege ich eine Zwei-Liter-Flasche Selbstgebrautes anvertraut. Für die Nacht finde ich in der Pension gleich neben dem neuen Spielplatz Quartier. Sehr faszinierend, diese Reise!