Tag 5: Von Bad Fallingbostel nach Laatzen
Tag 5: Von Bad Fallingbostel nach Laatzen
Wieder ein schöner Tag “on the road”. Er führt mich durch liebliche Heidedörfer hin zur (nicht ganz so lieblichen) Stadt Hannover.
Unterwegs die Erkenntnis, daß es hier ein paar erwähnenswerte Traditionen bei den historischen Bauernhäusern gibt:
- Gebaut wird hier stets mit rotem Klinkerstein, und Fachwerk.
- Häuser sind oft reetgedeckt.
- An der Stirnseite des Hauses, die regelmäßig zur Straße hin weist, wird gerne ein religiös thematisierter Sinnspruch angebracht. Bei einem davon entdeckte ich sogar neben dem christlichen Text zwei Runen, die die Aussage wohl komplettieren sollen.
- In dieser Gegend sind wohl die Schützenvereine das, was anderswo die Freiwillige Feuerwehr ist: Der soziale Marktplatz, der Treffpunkt, und Dreh- und Angelpunkt der Dorfgemeinschaften. Dies lese ich daran ab, daß nahezu jedes Haus hier auf dem Land an der Stirnseite Schützenscheiben montiert hat – auf den letzten hundert Kilometer sah ich DUTZENDE davon!
- Es gibt noch eine recht lebendige Tradition der Gartenpflege: Überall lieblich angelegte Beete zur Straße hin – oft mit Rosen und Lavendel, der auf dem sandigen Untergrund hier augenscheinlich bestens gedeiht.
Der erste Teil der heutigen Fahrt führte über parallel zu Landstraßen verlaufenden Radwegen (seit Hamburg sind diese Wege GRUNDSÄTZLICH auf der Ostseite der Straßen – ist wohl eine flächendeckende Bauregel, das so zu machen. Radfahrer – der Sonne näher als Autofahrer! 😉
Leider ist dann aber auch ein etwa sieben Kilometer langes Stück auf einer nicht wenig befahrenen Landstraße dabei. Gott sei Dank habe ich jetzt meinen Helmrückspiegel! Alle 5 Sekunden checke ich, was sich hinter mir tut, und trotz dem Miniformat des an einen Zahnarztspiegel erinnernden Gerätes sehe ich bis in 500 Metern Entfernung, ob ein Auto kommt.
Doch trotz der bedrohlichen Streckensituation möchte ich an dieser Stelle ein Lob auf die norddeutschen Autofahrer aussprechen: Praktisch alle agieren rücksichtsvoll und geduldig, bremsen oft extra hinter einem ab, um eine Gelegenheit, weiträumig überholen zu können abzuwarten! Das ist z.B. bei den hektischen Fahrern rund ums heimische München nicht ganz so schön.
Kurz bevor ich die Ausläufer Hannovers erreiche (mal wieder mit heftigen Regenschauern zwischendurch) mache ich im Vorüberfahren in einem Wohngebiet eine alte Windmühle aus. Ich ackere mich über einen Feldweg in Richtung der Mühle. Am Ende ist meine ganze Schaltung vollgestopft mit Grashalmen, die sich schön um die Zahnrädchen gewickelt haben!
Aber die Mühe hat sich am Ende gelohnt, denn vor mir steht eine toll renovierte Mühle aus dem Jahre 1602! Sie befindet sich auf einem Privatgrundstück, und einer der Anwohner ist tatsächlich der rechtmäßige Erbe dieses bemerkenswerten Zeugnisses der Vergangenheit.
Ich lerne, daß dieser Typ Mühle sozusagen für Mobilität entworfen worden war: Man konnte, etwa bei einer Mitgiftsituation, das ganze Ding relativ einfach demontieren, und ganz woanders wieder neu aufbauen. War mit dieser Mühle in der Vergangenheit so auch mindestens einmal geschehen.
Dann Hannover. Zwar verspricht mir an städtische Infrastruktur Gewöhntem der übliche Mix aus Einkaufsmöglichkeiten eine gewisse Erleichterung (vor dem Harzer Gebirge möchte ich noch einige “Ballastgegenstände” loswerden, indem ich sie einfach in eine Kiste packe und per Post an mich selbst verschicke), doch die zunehmende Tristesse ist nicht zu leugnen.
Vielleicht fahre ich durch die falschen Viertel von Hannover, aber irgendwie kommt es mir so vor, als dominiere hier eine Diktatur der Versachlichung – Straßenzüge ohne Gesicht, mit wie aus großer Höhe hingeschmissenen Industrie- und Gewerbegebäuden begleiten mich in die inneren Bereiche der Stadt. Dort schließlich auch viele Gebäude mit Jugendstilornamentik – erinnert sehr an den Münchner Stadtteil Schwabing. Doch anders als dort kaum irgendwo eine liebevolle Dekoration aus der Gegenwart, ein nett gestaltetes Café, ein hübscher Garten oder ein erfreulicher Blumenkasten am Balkon.
Vor der Schlussetappe zu meinem Hotel finde ich ein “Blockhouse” Steak-Restaurant. Au fein, denke ich, da kann man nicht viel falsch machen. -Wrong again, Bob! Der Rotwein, den man mir bringt ist schlichtweg untrinkbar. Entweder ein schlechter Korken, oder die Flasche war ein paar Tage lang geöffnet herumgestanden!
Natürlich lasse ich den Wein zurückgehen – doch der Ersatz ist ebenfalls keine Genuss-Offenbarung. Dann der Salat: Die Tomaten sind derart grob zugeschnitten, daß ich nochmal mit dem Messer ran muß, um sie überhaupt mundgerecht zu bekommen. Wenigstens schmeckt das Dressing aber gut, und das Steak samt Folienkartoffel ist auch in Ordnung.
Eine dreiviertel Stunde später stellt der Rezeptionist des zwar in einem hässlichen Trabantenstadt gelegenen, aber sehr sauberen und komfortablen Hotels den ersten wirklichen Lichtblick hier in dieser Gegend für mich dar. Er erkundigt sich interessiert nach meinen weiteren Reiseplänen, und gibt mir Tipps für eine bessere weitere Fahrradroute.
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